Kritischer Kommentar zum Referat von Günter Pohl (Internationaler Sekretär der DKP) auf der 10. PV-Tagung am 8. 9. 2017 in Essen zum Thema Kurdistan:
Wir haben es natürlich schon begrüßt, dass endlich eine linke Organisation, noch dazu die DKP mit ihren internationalen Kontakten, anfängt das Thema Kurdistan kritisch anzugehen.
Aber: Uns ist diese sanfte, überaus diplomatische Kritik von Günther Pohl immer noch viel zu zaghaft und wir glauben dass die verschiedenen Punkte der nationalen Frage in der deutschen Arbeiterbewegung wieder deutlicher und stärker diskutiert werden müssten.
Und hier aber nicht nur die Probleme nationaler Befreiungsbewegungen wie in Kurdistan, sondern auch die Probleme mit dem hier in der BRD in Teilen der kleinbürgerlichen Linken vorherrschenden Nationalen Nihilismus, der Kehrseite des Nationalismus. und einem Kosmopolitentum, das dem proletarischen Internationalismus entgegensteht und objektiv dem Imperialismus dient!
Es ist ja nicht so, dass eine Partei die in der Tradition der 3. Internationale steht, wie die DKP, da mit der Diskussion völlig neu beim Punkt null anfangen müsste!
Wir haben doch bereits einige theoretische Schriften, auf die wir in der Diskussion zurückgreifen können:
Die Bolschewiki begannen schon vor der Oktoberrevolution, sich mit diesem Thema zu befassen und trugen diese Diskussion auch in die Komintern hinein und wir sollten auf diese Schriften heute wieder zurückgreifen!
Von Dezember 1912 bis Februar 1913 hielt sich der kurz zuvor ins ZK der SDAPR(B) kooptierte Stavros Papadopoulos auf Wunsch Lenins im Vielvölkerstaat Österreich auf, um dort an dem grundlegenden Artikel „Marxismus und nationale Frage“ zu arbeiten, der bereits im März 1913 in der Zeitschrift „Prosweschtsdienije“ (Die Aufklärung), einer bolschewistischen legalen Monatsschrift, in Peterburg erschien.
Oder von Lenin der Text: „Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“ (1916) und ebenfalls von Lenin: „Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage“ (1920 für den Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale geschrieben)
Ein weiterer längerer Text, der auch wieder mal durchgearbeitet werden müsste, wäre: „Über die Grundlagen des Leninismus, Die nationale Frage“ (Aus einer 1924 an der Swerdlow-Universität gehaltene Vorlesungsreihe)
Zu diskutieren sind hier in Zusammenhang mit der Kurdistanfrage z.B. solche Kernpunkte wie:
„Lenin hat recht, wenn er sagt, dass man die nationale Bewegung der unterdrückten Länder nicht vom Standpunkt der formalen Demokratie, sondern vom Standpunkt der wirklichen Resultate in der Gesamtbilanz des Kampfes gegen den Imperialismus einschätzen muss, das heißt „nicht isoliert, sondern im Weltausmaß“
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Wir beziehen uns mit unserm kritischen Kommentar nur auf den den unten stehenden Abschnitt des Referats von Günter Pohl (Internationaler Sekretär der DKP) auf der 10. PV-Tagung am 8. 9. 2017 in Essen. (Zum schlampigen Umgang mit Lenins Imperialismus-Definition in anderen Teilen des Referats schrieb ja schon Willi Gerns „Kritische Anmerkungen zur Rede Günter Pohls auf der 10. PV-Tagung“ in der UZ vom 6. Oktober 2017)
Abschnitt aus dem PV-Referat auf den wir uns beziehen:
„Die DKP verteidigt sowohl die territoriale Integrität der Staaten der Region als auch das Recht des kurdischen Volks auf Selbstbestimmung innerhalb Syriens.
Das … Projekt der Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens (gemeint ist hier das US-Projekt „New Middle East“) ist durch die russische Entschlossenheit zwar gebremst, aber zumindest partiell noch im Visier des Imperialismus.
Denn der Kern des „New Middle East“ ist die komplette Zerstörung des Irak als Staat, mit der Gründung von sunnitischen, schiitischen und kurdischen Siedlungsgebieten, was auch zu Lasten Syriens, der Türkei und des Iran gehen würde.
Die USA haben sich im Sinne dieser Strategie zum gegenseitigen Nutzen mit den Kräften der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG bzw. PYD verbündet, indem sie sie mit Waffen und militärischer Logistik versorgen.
Diese wenden sich entschieden gegen den Islamischen Staat, was aber nur zu Zeiten der Befreiung von Kobane im Sinne der Vereinigten Staaten war, und sie wenden sich natürlich grundsätzlich (aber hier nicht militärisch) gegen die Türkei. Dabei ist gesondert zu betrachten, in welchem Verhältnis sich die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei besonders im Zusammenhang mit dem Putsch gegen die AKP-Regierung befinden.
Denn die USA stärken die kurdischen Einheiten heute sicher auch gegen türkische Interessen, aber genauso nutzen sie sie als Spaltpilz für eine Nachkriegsordnung für Syrien, nachdem man die Verfasstheit des Landes trotz aller direkten und indirekten Anstrengung nach heutigem Stand der Dinge nicht eliminieren kann.
Dazu gehört, dass die Einheiten der YPG in Zusammenarbeit mit den US-Truppen nun auch außerhalb kurdischer Gebiete kämpfen und dabei der syrischen Armee die Befreiung weiterer Gebiete vom IS erschweren, welche die Kurden und die USA als Faustpfand gegen die Assad – Regierung haben wollen (Al – Raqqa).
Die Emanzipation des kurdischen Volks in seinen Siedlungsgebieten, die auf dem Territorium der Türkei, Syriens, Armeniens und des Irak liegen, ist durchaus eine notwendige Bedingung für ein respektvolles Zusammenleben der verschiedenen Völker.
Die irakischen Kurd/inn/en unter Masud Barzani führen nach über zehn Jahren in zwei Wochen ein zweites Unabhängigkeitsreferendum durch; und die syrischen Kurd/inn/en wollen Autonomie.
Ein eigener Staat (den die syrischen Kurd/inn/en derzeit nach eigener Aussage nicht anstreben) wäre jedoch so sehr im Sinne der imperialistischen Staaten, dass er sich für die Kurden selbst als kontraproduktiv erweisen könnte.
Eine Syrische Föderation mit autonomen Rechten für die kurdische Minderheit kann zwar mittelfristig eine Lösung sein, schwerlich aber in Zeiten des Krieges und den vermutlich noch Jahre andauernden Kämpfen lokaler Machthaber.
Das komplizierte Verhältnis zwischen einer emanzipatorischen Entwicklung des kurdischen Volks gegenüber der Arabischen Republik Syrien und der Verteidigung des Staatsgebildes Syrien gegen die terroristischen Angriffe des IS (und damit des Imperialismus) spricht gegen schnellere Schritte. Wahrscheinlich kann das Thema der Kurd/inn/en in Syrien auch nicht losgelöst von der Frage ihrer Autonomie im Irak und auch nicht ohne eine Überwindung der Unterdrückung ihres Volks in der Türkei angegangen werden.
Interessant und hilfreich war die diesbezügliche Debatte in der UZ. Die Internationale Kommission hat vor wenigen Wochen mit der Syrischen KP über einige dieser Fragen sprechen können. Die SKP steht zum Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volks in Syrien, lehnt eine Kollaboration mit den USA jedoch ab.“
– Die DKP und die nationale Frage –