Selbstverständnis zum Schwerpunkt Libyen (2011)
Die zögerliche bis neutrale Haltung der Friedensbewegung und linker Organisationen gegenüber dem Vernichtungskrieg der von den NATO-Staaten gegen Libyen geführt wird, hat erheblich zum monatelangen Ausbleiben jeglichen Widerstandes in den europäischen Ländern beigetragen.
Ursachen sind die nicht zuletzt durch die NATO-Propaganda über Jahrzehnte geprägte Entfremdung, Vorbehalte und Berührungsängste gegenüber emanzipatorischen und antiimperialistischen Bewegungen in Trikontländern.
Auf diesem Untergrund blüht inzwischen selbst unter vermeintlichen Linken ein pro-imperialistischer Eurozentrismus. Befreiungskämpfe werden aus dem historischen Kontext gerissen, die äußerst labilen Bürgerrechte in den Machtzentren und das bürgerliche „Demokratie“-Verständnis dagegen leichtfertig zum Maßstab erhoben. Ergänzt wird die resultierende passive bis distanzierte Haltung durch akademische Utopie- Debatten und damit verbundenes Sektierertum.
Nicht zuletzt sorgte der „arabische Frühling“ für Verwirrung, da das Fehlen direkter Informationsquellen Raum für wilde Spekulationen liess.
Die schillernde Person von Muammar Ghaddafi erschien voller vermeintlicher oder tatsächlicher Widerprüche. Die Propagandamedien der kriegsführenden Parteien taten daher ihren Teil, den Krieg zu personifizieren und als Kampf gegen Ghaddafi zu verkaufen. Die Fähigkeit zu einer fundierten Bewertung, ob nicht vielmehr der Staat Libyen als solches zerschlagen und die Libyer als Opfer imperialistischer Interessen ermordet werden, hat sicherlich eine entscheidende Bedeutung für die Schlagkraft einer Antikriegsbewegung.
Wir verstehen es daher als Notwendigkeit, unsere Haltung klarzustellen:
- Es besteht Konsens darüber, dass wir die Aggression gegen den friedlichen Staat Libyen ablehnen, verurteilen und bekämpfen.
- Es gab und gibt für den gesamten NATO- Krieg nicht den Hauch einer Rechtfertigung. Im Gegensatz zu den Angreifern hat Libyen kein anderes Land angegriffen. Widerlegt und abwegig ist, dass die libysche Regierung einen „Genozid“ an der eigenen Bevölkerung zu begehen drohte oder friedliche Demonstranten aus Flugzeugen beschossen wurden. Diese Behauptungen dienten als Vorwand für die UN-Resolutionen Nr 1970 und Nr 1973 zur „Flugverbotszone“, die den Kriegsbeginn rechtfertigen sollten. Umso zynischer erscheint dieses Vorgehen, je mehr deutlich wird, dass dies der NATO selbst ermöglichte, solche Verbrechen zu begehen.
- Wir lehnen Krieg als Mittel der Politik ab und verstehen uns als Teil des weltweiten Widerstandes gegen den Imperialismus.
- Krieg kann niemals ein Ersatz für Revolution oder politische Debatte sein. Es geht uns nicht darum die libysche Regierung zu idealisieren. Ghaddafi mag als Person und politischer Führer umstritten sein. Wir behaupten nicht, ausschließen zu können, dass es seit der Machtübernehme Ghaddafi’s 1969 Entscheidungen und Maßnahmen gab, die nicht unserem Rechtsverständnis entsprechen. Wir begrüßen eine kritische Auseinandersetzung über die libysche Regierungsform und Geschichte, die Unzulänglichkeiten und Errungenschaften der libyschen Jamahiriya. Konsequenzen daraus können in Libyen nur die Libyer selbst ziehen. Wer unwahr behauptet oder suggeriert, der Überfall der NATO stünde im Zusammenhang mit fehlender Rechtsstaatlichkeit Libyens, bzw diesen Krieg indirekt rechtfertigt, der begeht einen Verrat an eben den Ideen, die man zu vertreten vorgibt. Dies gilt insbesondere soweit dabei vorgeblich Frieden, Menschenrecht und Emanzipation als Maßstab angelegt werden.
- Die staatliche Souveränität ist ein elementarer Bestandteil des Völkerrechtes und muss verteidigt werden.
- Das Selbstbestimmungsrecht der Libyer muss geachtet werden. Auf keinen Fall darf eine externe Macht darüber entscheiden, wer in Libyen als Regierung eingesetzt wird oder in erheblichem Maße auf diese Entscheidung Einfluß nehmen.
- Die anhaltenden rassistischen Pogrome der NATO-Söldner sind an Menschenverachtung nicht zu überbieten. Wir sind solidarisch mit dem antifaschistischen und antirassistischen Widerstand in Nordafrika und weltweit, der das Recht hat, mit allen verfügbaren Mitteln gegen solche Verbrechen vorzugehen und sie zu verhindern.
- Der sog NTC („Nationaler Übergangsrat“) vertritt weder einen nennenswerten Teil der Bevölkerung, noch ist er in irgendeiner anderen Weise legitimiert worden. Tatsächlich ist er der politische Arm der Kriegsverbrecher und Besatzer. Die NTC- Mitglieder haben mit der NATO kollaboriert und unter deren Schutz Verbrechen begangen, wie man sie fälschlicherweise der Ghaddafi-Regierung vorgeworfen hatte. Dafür müssen sie zur Verantwortung gezogen werden.
- Was bedeutet Solidarität mit dem libyschen Volk? 2000 Stammesvertreter sprachen sich für die Einheit Libyens und die Abwehr der NATO-Aggression aus, Millionen Libyer haben in Tripolis und anderen Städten mit grünen Fahnen eindrucksvoll dafür demonstriert, dass sie nicht die politische Führung sondern ihr eigenes Land angegriffen sehen. Sie verteidigen das, was Libyen ausmachte und weshalb Libyen angegriffen wurde. Die Libyer haben jedes Recht dazu, sich zu verteidigen, die Besatzer und deren Kollaborateure des sog NTC zu vernichten oder aus dem Land zu jagen. Ihr Ziel ist es, zum vorherigen eingeschlagenen Weg der ökonomischen und politischen Unabhängigkeit Libyens und den damit verbundenen emanzipatorischen Errungenschaften zurück zu finden. Der libyschen Befreiungsbewegung gehört die Zukunft und unsere Solidarität.
- Die Aggressoren und ihre Propagandamedien haben Ghaddafi im Vorfeld des Krieges gezielt diffamiert und verteufelt, um davon abzulenken, dass sie nicht eine Person angreifen, sondern ein ganzes Land, seine Regierung, Militärmacht, Infrastruktur und Bevölkerung.
Diese Personifizierung des Krieges weisen wir als Propagandalüge entschieden zurück. Es geht der Kriegsallianz allein darum, den Staat Libyen zu zerschlagen, um danach eine politische Führung einzusetzen die ihre ökonomischen und militärischen Interessen bedient.
Unabhängig von differierenden ideologischen Bewertungen, respektieren wir, dass Mu’ammar al-Qaddhafi vielen Menschen als Symbol und Leitfigur der Befreiung Libyens‘ aus kolonialen Ausbeutungsverhältnissen gilt. - Wir verurteilen die Stellungnahmen des politischen Establishment in Deutschland, wie zB Frau Merkel, die der NATO- Aggression ganz unverhohlen Erfolg wünschte. Die Anerkennung des sog „Übergangsrates“ als diplomatische Vertretung entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Die daraus sprechenden neokolonialistischen Attitüden der NATO- „Regierungen“ sind inakzeptabel und perspektivlos. In diesem Zusammenhang begrüßen wir alle Projekte, die durch die rechtmäßige libysche Regierung und Andere initiiert werden und zur Befreiung der afrikanischen und arabischen Bevölkerung aus neokolonialen Ausbeutungsverhältnissen beitragen konnten und können.
- Angesichts mehrerer verheerender Angriffskriege an denen die NATO führend beteiligt war, fordern wir einen sofortigen Austritt Deutschlands aus diesem „Verteidigungsbündnis“ bzw dessen unverzügliche Auflösung.
- UN und „Internationaler Strafgerichtshof“ sind heute Instrumente in den Händen von Kriegsverbrechern. Die Weltgemeinschaft muss daher eine radikale Demokratisierung der UN erzwingen. Die Verantwortlichen für die Angriffskriege der NATO-Staaten müssen sich einem internationalen Gericht stellen, das diesen Namen verdient und sich ohne Ausnahme dem Völkerrecht verpflichtet fühlt.
***
Antikriegsbündnis Nürnberg/Fürth 2011
***