Mali – Springer auf dem Schachbrett deutscher Geopolitik
Die Aktivitäten des Deutschen Imperialismus in Mali interessiert offensichtlich die Mehrheit der Deutschen Linken überhaupt nicht! Deshalb drucken wir hier einen Artikel vom Nachrichtenportal der DKP ab. Der Autor, Georges Hallermayer aus Sarreguemines (Dep. Moselle) ist Mitglied im Vorstand der Marx-Engels-Stiftung.
18. Dezember 2016, Georges Hallermayer, http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2016/12/mali-springer-auf-dem-schachbrett-deutscher-geopolitik/
1/10 der Flüchtlinge = 1/3 der Asylsuchenden = ¾ aller Toten an den Grenzen
„Das läuft insgesamt ganz gut“, so wird die Bundesregierung zitiert, nachdem der niederländische Außenminister Bert Koenders im Auftrag der Europäischen Union am vergangenen Montag eine Vereinbarung mit der Regierung des westafrikanischen Landes Mali unterschrieben hatte.
Die EU-Kommission hatte am Mittwoch darauf in Brüssel einen Fortschrittsbericht über die Verhandlungen mit Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal vorgelegt, über den tags darauf der EU-Gipfel beriet. So „will die EU die Einwanderung drosseln,“ schreibt die Wirtschaftswoche am 16. Dezember.
Sankt-Florians-Prinzip: „Verschon mein Haus, …“
Die EU-Kommission geht zynisch nach dem Sankt-Florians-Prinzip vor: „Verschon mein Haus, zünd‘ andere an!“
Denn wie der UN International Migration Report 2015 darlegt, ist die Migrationswelle Süden-Süden, die 740 Millionen Menschen betreffe, drei Mal so hoch wie die vom Süden nach Norden.
Während der Jahre 2014/15 empfing Europa gerade mal ein Zehntel der Flüchtlinge auf dieser Welt, ein Drittel der Asylsuchenden, aber an seinen Grenzen starben drei Viertel der Flüchtlinge!
In dem Abkommen soll ich sich Mali verpflichtet haben – und bei den anderen afrikanischen Herkunfts- bzw. Transitländern ist es ebenso vorgesehen – Migranten ohne Bleiberecht in der EU wieder zurückzunehmen.
Doch hatte dies der malische Außenminister Abdoulaye Diop am 19. Dezember vor der Presse bestritten.
„Zu keinem Zeitpunkt sei davon die Rede gewesen, ein Abkommen zu unterzeichnen, das die „Ausweisung von illegal in Europa lebenden Landsleuten erlauben“ sollte, zitiert ihn EurActiv am 20. Dezember.
Nicht nur Harlem Desir, der Europa-Staatssekretär im französischen Außenministerium dürfte sich zu früh gefreut haben.
Allerdings dürften diplomatische Verwicklung über den Jahreswechsel vorprogrammiert sein.
In Mali forderte die Partei SADI am 18. Dezember den Präsidenten auf, sich klar zu äußern. Der deutsche Botschafter in Mali, Dietrich Becker, bezifferte nach der Zeitung „L‘Observatoire a Bamako“ die illegal in Deutschland lebenden Malier auf 200, mit legalem Aufenthalt 2.000.
Um die Anzahl von Einwanderern einzudämmen, d.h. die Millionen Flüchtlinge auf dem afrikanischen Kontinent sich selbst und den Almosen sogenannter Entwicklungshilfe zu überlassen, dringt die Bundesregierung ebenso darauf, Abkommen mit den nordafrikanischen Staaten, vor allem Ägypten abzuschließen, auch wenn der EU-Gipfel die Liste der Länder wohl nicht ausweiten wird.
Der am 18. Dezember herausgekommene Bericht der OECD „Perspectives du developpement mondial 2017.Les migration dans un monde en mutation“ zeigt die Migrationsströme nach, die zwischen Ländern mit hohem Einkommen (HR), Ländern mit gehobenem Wachstum (CS) und dem „Rest der Welt“ (RM) verlaufen.
Auffallend ist, dass zwischen 1995 und 2011 die Binnenmigration in den drei Länderkategorien zurückgegangen ist, aber gerade die Migration aus den CS-Ländern mit Perioden gehobenen Wachstums in die „reichen“ HR-Länder von 20 % 1995 auf 40 % (2011) sich verdoppelt hatte, die Migration von den ärmsten RM-Ländern zu den HR-Ländern 1995 7 % betrugen und 2011 auf 11 Prozent gestiegen sind.
„… zünd andere an!“
Konflikte zwischen den an der Rückführung beteiligten Staaten sind abzusehen.
So ließen in Mali die ersten Proteste nicht auf sich warten. Vor zwei Wochen wurden aus Algerien, dem nördlichen Nachbarstaat, 1.500 subsaharische Migranten zurückgeschickt: in Bussen aus Algier in die Lager bei Tamanrasset im Süden und dann verteilt auf die betreffenden Länder.
Die Regierung in Bamako verlangt von den algerischen Behörden Aufklärung, denn die ersten 260 in Bamako angekommenen Ausgewiesenen klagten über die Brutalität der Polizei.
Ihre Wertsachen (Handy, Geld vor allem) hätte man ihnen abgenommen, ihnen Essen und Trinken vorenthalten, so am 14. Dezember die in Bamako erscheinende Tageszeitung „L‘Indicateur de Renouveau“.
Die UN-Flüchtlingsagentur UNHCR steht wie der algerische „Rote Halbmond“ im Feuer der Kritik auch algerischer Hilfsorganisationen, was die algerische Regierung schweigend aussitzt – noch.
Die Regierung von Kenia hatte sich dieser Neuaufteilung von EU-Entwicklungshilfegelder unter auferlegten Bedingungen nicht gebeugt. In Kenia liegt das größte Flüchtlingslager der Welt in Dadaab mit 300.000 Flüchtlingen.
Zum 21. Mai 2017 hat die Regierung beschlossen, das hauptsächlich von Somaliern bevölkerte Lager zu schließen, die von der UNHCR bereitgestellten Mitteln reichen längst nicht mehr aus, selbst der Hunger grassiert in der gigantischen Zeltstadt.
Der kenianische Innenminister versprach „die Rückführung werde human, in Würde und Sicherheit ablaufen,“ während ONGs wie Amnesty International an der Durchführung zweifeln. Denn abgesehen von den benötigten Transportmitteln beherbert Somalia selbst 1,1 Millionen Vertriebene aus dem Süden des Landes, das die islamistischen Shebabs kontrollieren.
Zuckerbrot und Peitsche
Das europafreundliche, unter anderem von BASF gesponsorte web-Portal „euractiv“ spricht es am 15. Dezember offen aus: „EU will Afrika mit Anreizen und Druck zur Flüchtlingsrücknahme bewegen“ Das „Zuckerbrot“ wird aus dem Entwicklungs-„hilfe“-Budget umgewidmet (wie schon die militärischen Einsätze), was zur Folge hat, dass die Fördermittel an anderer Stelle fehlen.
Die Mittel für die afrikanischen Staaten zur Wiedereingliederung zurückgeschickter Migranten hat die EU bereits um eine halbe Milliarde auf 2,5 Mrd. Euro erhöht. Davon seien bereits 64 Programme im Umfang von 1 Mrd. Euro genehmigt.
Aber die EU-Staaten haben bisher nur 85 Mio. Euro zugesagt, deutlich weniger als die ursprünglich angepeilten 1,8 Mrd. Euro.
Im Nachbarstaate Niger gebe es bereits „gute Fortschritte“, die Zahl der Menschen, die die Transitroute durch die Sahara nahmen, sei von 70.000 im Mai auf 15.000 im November gesunken. Brüssel, so „euractiv“ am 16. Dezember, begründe dies mit dem verstärkten Kampf gegen die Schlepper in der Region.
Wie „Humanité“ am 13. Dezember berichtete, habe Mali 145,1 Mio. Euro erhalten, mit denen das Land neun Projekte der Reintegration finanziere.
Über die „Peitsche“ lässt sich das web-Portal, aber auch die Bundesregierung nicht näher aus.
Allerdings sorgen die stationierten amerikanischen, deutschen und französischen Soldaten im Rahmen der Militärintervention „Barkhane“ in den G5-Sahel-Staaten, in Mali die um 600 Mann aufgestockte und mit Helicopter verstärkte deutsche Beteiligung an der UN-Mission „Minusma“ und der 200 deutsche Soldaten umfassende Ausbildungsmission EUTM für ausreichendem Einfluss.
Die Errichtung einer deutschen Luftwaffenbasis in Niamey, der Hauptstadt des östlichen Nachbars diene offiziell der logistischen Unterstützung der UN-Mission Minusma in Mali, so der dortige Botschafter Bernd von Münchow-Pohl (Journal du Mali 6.12.16). Dabei werden in Niger bereits französische und amerikanische Militärbasen, auch Drohnen-Stützpunkte betrieben, die man durchaus mitbenutzen könnte.
Am 5. Dezember gab der deutsche Botschafter in Mali Dietrich Becker eine Pressekonferenz.
Die Besuche 2016 der Verteidigungsministerin, des Außenministers, des Bundespräsidenten und als Höhepunkt der Besuch der Kanzlerin im Oktober zeigten, Deutschland bleibe an der Seite Malis.
Im letzten Jahr habe die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KFW) einen Kredit über 74 Mio. Euro mit einer Laufzeit von 3 Jahren gewährt.
Das finanzielle Engagement der Zusammenarbeit sei für 2016 – 2017 auf 76 Mrd. CFA (knapp 116 Mio. Euro) gestiegen. Konkret nannte der Botschafter, die strategischen Prioritäten Malis in der Landwirtschaft, der Dezentralisation, der Wasser- und Abwasserversorgung, den Bergbau-Sektor insbesondere im Norden zu unterstützen (maliactu.net 7.12.16).
Der Rückschlag
Chris Beauchemin und Mathieu Ichou – beide forschen am Institut National francais d’etudes demographiques (Ined) – haben gerade bei der Pariser Edition Karthala ein Buch herausgegeben mit dem Titel „Au-dela de la crise des migrants: decentrer le regard“ etwa: „Jenseits der Migrantenkrise – weiten Sie den Blick“.
Sie geben zu bedenken, dass die Migranten nicht alle arm sind, als „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus prekären Verhältnissen kommen, sondern durchaus nuanciert betrachtet werden müssen. Sie führen das Beispiel an, dass 85 Prozent der 1970 in der Demokratischen Republik Kongo geborenen, in Frankreich lebenden Immigranten besser ausgebildet sind als die zuhause Gebliebenen – nur 14 Prozent der letzteren haben nach der Gesamtschule ihre Ausbildung fortgesetzt.
Politische Instabilität und (Bürger-) Krieg bewegen als erste die zur Flucht, die die Mittel dazu haben. Sie geben weiterhin zu bedenken, dass Einwanderung nicht immer „auf Dauer bleiben“ bedeutet.
In Wirklichkeit versucht die europäische Politik, die „Rückkehrbewegungen unsichtbar zu halten und übertreiben das Phänomen der Ankunft“.
Dabei habe eine Studie der OECD („Perspectives du developpement mondial 2017.Les migration dans un monde en mutation.“ Rapport annuelles, Paris 2008) gezeigt, dass 20 bis 50 Prozent der in die EU Eingewanderten in den ersten 5 Jahren nach ihrer Ankunft wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Zudem werden Auswanderländer für Europäer zu Länder der Immigration.
So sei Marokko heute ein Einwanderungsland, 49 Prozent der dort lebenden Ausländer seien Europäer.
Als Schlussfolgerung zeigen die beiden Autoren auf, dass Grenzkontrollen keine Lösung bieten, gleichgültig welches Zielland betrachtet werde.
Sie halten niemand ab zu emigrieren, sondern verursachen eine „Schattenwirtschaft“, in der die Wanderer ihr Auskommen und Glück suchen. Was hierzulande in Vergessenheit geraten ist, ist die Tatsache, dass Emigranten, einmal installiert, ihre Familie unterstützen wollen. Zum Beispiel übersteigen die Überweisungen der Emigranten Afrikas beträchtlich die Höhe aller ausländischen Direktinvestitionen.
So belief sich der Transfer der Migranten 2013 auf 62,9 Mrd. Dollar, während die Summe der Direktinvestitionen 56,6 Mrd. US-Dollar betrugen. In Mali, wo die Hälfte der Bevölkerung unter der UN-Armutsgrenze lebt, sind diese Gelder für die heimische Wirtschaft ein schwergewichtiger ökonomischer Faktor. In Senegal machen diese Überweisungen 10 % des Bruttoinlandsprodukt aus (jeune afrique 19.12.16).
Die Politik der Restriktionen habe zudem einen unerwarteten Effekt: So wie die Kosten der Immigration zu einer „beträchtlichen Investition“ anwachsen, müssen sich die Einwanderer im Lande endgültig niederlassen oder länger bleiben als sie vor der Abreise überhaupt vorhatten.
Merkels „neue Politik in Afrika“ in altem Gewand
Der deutsche Botschafter in Mali erinnerte an den Appell der Kanzlerin für eine neue Politik in Afrika, „die privaten Investitionen auf dem Kontinent zu begünstigen, dazu Steuererleichterungen zu schaffen und das Geschäftsklima zu verbessern“ (mali7.net 7.12.16).
Abgesehen davon, dass sich diese Politik mit der von den imperialistischen Institutionen Weltbank, Weltwährungsfond und OECD deckt, zielt der Sachwalter des deutschen Imperialismus wie seine Chefs darauf, den Einfluss chinesischer Politik zurückzudrängen.
Die nach German Trade & Invest geringe Präsenz deutscher Unternehmen soll sich wohl unter dem Schutz deutscher Waffen erhöhen, ergänzt durch das Investitionsschutz-Abkommen von 1977. Das „Mindestaufgebot von DHL und Allianz“ (gti) wird begleitet von der Hamburger Solarfirma Yandalux, eine riesige Geschäftsbrache bei einem Zugang zur Elektrizität von gerademal 26 Prozent der Bevölkerung (auf dem Lande 12 Prozent).
Den schwachen Handel mit Mali gelte es zu stärken: 2014 importierte Deutschland Waren im Wert von 3,6 Mio. Euro und exportierte für 98 Mio. Euro vor allem Textilien und Bekleidung, Autos samt Ersatzteile, Maschinen und chemische Erzeugnisse. Der Handel mit China profitiert im Gegensatz davon, dass die Volksrepublik seit 2012 für Waren aus den ärmsten PMA/LCD-Länder, so auch aus Mali, keinerlei Importzölle erhebt.
Aber die Konkurrenz mit den auf mehrere Tausende angewachsene Zahl chinesischer Kleinhändler führt trotz bester Beziehungen auch zu Konflikten. So protestieren im Juni malische Händler dagegen, dass die chinesische Botschaft mehrere Monate die Visa-Bedingungen erschwerte. China begründete die Maßnahme mit der Terroristengefahr, denn wenige Monate zuvor waren zwei Top-Manager erschossen worden.
Der Unternehmerverband Synacodem warf den chinesischen Händlern sogar vor, den malischen Markt erobern und die Wirtschaft kontrollieren zu wollen (maliactu 21.6.16).
Mali & China in strategischer Partnerschaft
Dabei erfreuen sich beide Länder „enger Zusammenarbeit, um die bedeutenden Abkommen des sino-afrikanischen Forums (FOCAC) in Johannesburg“ im Dezember 2015 umzusetzen, so Botschafterin Lu Huiying (Le Republicain 29.9.16). In Kooperation mit Mali sind im agroindustriellen Sektor die Konstruktion von zwei Spinnereien und drei Fabriken zur Baumwollverarbeitung zu nennen.
In jedem Jahr ist die Ausbildung von 300 Jugendlichen und 80 Stipendien zum Studium in China vorgesehen.
Die Spende von 300.000 Medikamente gegen Malaria im Gegenwert von 700.000 Euro sind eher zu erwähnen als die 20 Limousinen für den Frankreich-Afrika-Gipfel in Bamako und macht auch dem chinesischen Pharma-Unternehmen in Sanankoroba „Humanwell“ keine Konkurrenz. Aber neben der Domaine der Gesundheit, dem Bau von Krankenhäusern ist an erster Stelle wohl das strategische Projekt der China Railway Construction Corp. (CRCC) zu nennen, die 1.286 km lange Bahnverbindung zwischen den beiden Hauptstädten Malis und Senegals, Bamako und Dakar.
In Mali werden 600 km Gleisstrecke und 22 Bahnhöfe saniert, außerdem die beschäftigten malischen Ingenieure und Techniker weitergebildet. Finanziert wird das 1,42 Mrd. Dollar-Projekt von der chinesischen Eximbank zum Vorzugszins von 2 Prozent mit einer Laufzeit von 30 Jahren. Nach dem Tod eines chinesischen UN-Soldaten Ende Mai offerierte China der malischen Armee militärisches Material zur Minensuche und Übertragungs- und Fallschirmtechnik im Wert von 2,74 Mio. Euro (mali7.net 24.11.16).
Im Oktober wurde der Campus der Universität Kabala eingeweiht, ein Geschenk der Volksrepublik im Umfang von umgerechnet 64 Mio. Euro. Von einer Reise im Juni nach Zhengzhou und Beijing brachte der malische Minister für Berufsausbildung, Jugend und Bürgerbeteiligung die Konstruktion und Finanzierung eines Berufsbildungskomplexes mit.
Das von SIPPR Engineering Group entworfene Berufsbildungszentrum soll neben dem Internationalen Flughafen von Bamako-Senou für 11,6 Mio. Euro errichtet werden (Notre Nation 21.6.16), die Ausbilder der vorgesehenen 350 Azubis in der Volksrepublik ausgebildet werden.
China unterstütz Mali in ihrem Bestreben, die nationale Einheit gegen Abspaltungstendenzen im Norden zu verteidigen.
Umgekehrt betrachtet Mali die Souveränität Chinas über die Inseln im Südchinesischen Meer als unbestreitbar (CitoyenTV 13.7.16).
Wohl nur AID-Data, eine zur Beobachtung afro-chinesischer Beziehungen spezialisierte, aus verschiedenen US-Quellen gesponsorte Einrichtung, kommt auf die Idee, dass sich afrikanische Länder ihr Abstimmungsverhalten in der UNO durch chinesische Entwicklungsgelder abkaufen ließen (Economist 16.4.16).
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