Krieg in Syrien: SKFS stellt Strafanzeige.
Frankfurt am Main. Das Frankfurter Solidaritätskomitee für Syrien (SKFS) hat Strafanzeige gegen die Mitglieder der deutschen Bundesregierung wegen Vorbereitung eines Angriffskriegs beim Generalbundesanwalt erstattet. Wie das Komitee mitteilt, bezieht sich die Anzeige auf den am 1. Dezember vom Kabinett beschlossenen Bundeswehreinsatz in Syrien. Dieser stelle eine Missachtung der staatlichen Souveränität der Arabischen Republik Syrien dar. Das SKFS hält die von der Bundesregierung angeführten völkerrechtlichen Rechtfertigungsgründe und auch die Behauptung, dass der Einsatz dazu diene, den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) zu bekämpfen, für vorgeschoben.
Das SKFS sieht die aggressive Destabilisierung Syriens als strategisches Ziel der Bundesregierung und wirft ihr zumindest indirekte Kollaboration mit dem IS vor. Nach Auffassung des SKFS ist der Generalbundesanwalt zur Aufnahme von Ermittlungen verpflichtet, da das Vorliegen eines Anfangsverdachts unbestreitbar sei. Die Suche nach entlastenden Umständen sei frühestens im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens möglich. Die Strafanzeige wurde von 19 Personen unterzeichnet, ihr Text ist von den Erstunterzeichnern zur Verwendung durch alle Bürger freigegeben.
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Der Wortlaut der Anzeige folgt.
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Sehr geehrter Herr Generalbundesanwalt,
hiermit erstatten wir Strafanzeige gegen die derzeitigen Mitglieder der deutschen Bundesregierung wegen Vorbereitung eines Angriffskriegs gegen die Arabische Republik Syrien gemäß § 80 StGB.
Es liegt folgender Tatbestand zugrunde: Am 1.12.2015 haben die Mitglieder der Bundesregierung in einer Kabinettssitzung den Einsatz deutscher Streitkräfte auf syrischem Staatsgebiet beschlossen. Dafür liegt weder das Einverständnis der syrischen Regierung noch eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor. In der gleichen Kabinettssitzung beschlossen die Mitglieder der Bundesregierung den Gesetzesentwurf „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“ (Bundestagsdrucksache 18/6866).
Darin heißt es: „Der Einsatz deutscher Streitkräfte erfolgt vorrangig im und über dem Operationsgebiet der Terrororganisation IS in Syrien sowie auf dem Territorialgebiet von Staaten, von denen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung vorliegt, sowie im Seegebiet östliches Mittelmeer, Persischer Golf, Rotes Meer und angrenzende Seegebiete.“
Der (inzwischen durch den Bundestag beschlossene) Gesetzestext hält es nicht einmal für nötig, von einem syrischen Territorialgebiet überhaupt zu sprechen, geschweige denn das Vorliegen einer Genehmigung seitens der syrischen Regierung zur Bedingung zu machen. Die Souveränitätsrechte der Arabischen Republik Syrien werden dreist missachtet.
Die völkerrechtlichen Rechtfertigungsversuche der Beschuldigten sind haltlos. Die Beschuldigten geben vor, Frankreich Beistand in einem Akt der Selbstverteidigung zu leisten, welcher wiederum durch die terroristischen Taten am 13.11.2015 in Paris, für welche angeblich der Daesh („IS“) verantwortlich sein soll, gerechtfertigt sei. Selbstverständlich liegen 1. keine offiziellen Ermittlungsergebnisse vor, die den „IS“ mit dem Terrorangriff in Paris in Verbindung bringen, 2. ist der Daesh („IS“) entgegen seiner Selbstbezeichnung eben kein Staat, gegen den man ein Selbstverteidigungsrecht im Sinne von Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen ausüben könnte, sondern es handelt sich um eine kriminelle Erscheinung auf dem Gebiet souveräner Staaten, die von diesen — allen voran Syrien — bekämpft wird. Es ist klar, dass die Beschuldigten ihre Konstruktion selbst nicht für tragfähig halten können; es handelt sich also um eine Täuschung der Öffentlichkeit zur Verschleierung des kriminellen Charakters der zur Anzeige gebrachten Tat. Zusätzlich werden noch ebenfalls in irreführender Absicht zwei Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen angeführt, die eben wiederum das Entscheidende nicht enthalten: eine Ermächtigung zu militärischer Gewalt auf dem Territorium fremder souveräner Staaten.
Überhaupt muss die vorgebliche Absicht der Beschuldigten, durch ihre Tat die Terrororganisation Daesh („IS“) zu bekämpfen, angezweifelt werden. Diese Terrororganisation bzw. ihre Vorläuferorganisationen und ähnliche islamistische Terrorgruppen operieren seit 2011 auf syrischem Gebiet. Seitdem werden sie von den regulären syrischen Streitkräften erbittert bekämpft.
Deutschland ist Mitglied der sogenannten „Freunde Syriens“, eine Selbstbezeichnung, die an Zynismus schwer zu überbieten ist, und übernahm dort den Co-Vorsitz der „Arbeitsgruppe zur wirtschaftlichen Erholung und Entwicklung“. Auch diese wohlklingenden Worte sollten humantiäre Absichten vorspiegeln, tatsächlich war dies nach Dokumenten der „Freunde“ ausschließlich zur Unterstützung einer „Übergangsregierung“ gedacht, die an die Stelle der syrischen Regierung treten sollte. Die Destabilisierung des syrischen Staates war Ziel der „Freunde Syriens“. Dem diente der Abbruch diplomatischer Beziehungen mit der gewählten syrischen Regierung und die Anerkennung einer selbstkreierten Gegenregierung „Koalition der Opposition“ im Londoner Exil. Eine großangelegte Propagandakampagne wurde mit dem Ziel gestartet, dass die Gegenregierung den Platz Syriens bei den Vereinten Nationen einnehmen sollte, allerdings brach die Kampagne im Lauf des Jahres 2013 in sich zusammen. Der Gegenregierung fehlte es an der für eine internationale Anerkennung erforderlichen Zahl und Repräsentativität, der Fähigkeit, für das Land international zu handeln, der Macht in einem maßgeblichen Teil des Staatsgebiets und insbesondere an jeder Legitimation durch eine Wahl.
Diese Handlungen des „Freundeskreises“ einschließlich Deutschlands stellen bereits einen Bruch des Völkerrechts dar, weil sie das Selbstbestimmungsrecht des syrischen Volkes missachten und gegen das Interventionsverbot verstoßen. Hingegen ist die Regierung unter Präsident Baschar al Assad weiterhin völkerrechtlich legitim und wird in der UN von Dr. Bashar Jaafari vertreten. Die „Freunde Syriens“ einschließlich Deutschland weigerten sich nicht bloß, die Terrorgruppen üerhaupt als solche zu bezeichnen, sie betrachteten die Terroristen als nüzliches Mittel. Nachdem die Fassade der „?oalition der Opposition“ zusammenbrach, beschlossen die „Freunde“ bei ihrer Tagung in Katar im Juni 2013, „schneller mehr Waffen“ zu liefern. Siehe z.B. http://www.spiegel.de/politik/ausland/freunde-syriens-versprechen-assad-gegnern-militaerhilfea-907343.html.
Deutschland hat damit sowie durch die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Wirtschaftssanktionen gegen Syrien, zuletzt auch durch das Anlocken syrischer Flüchtlinge durch Aussetzung der Einzelfallprüfung im Asylverfahren, dem syrischen Staat und der syrischen Gesellschaft massiv geschadet, wodurch dessen Bekämpfung des Daesh und anderer Terrororganisationen schwer behindert worden ist.
Deutschland unterhält weiterhin freundschaftliche Beziehungen zu Staaten, die den Daesh direkt materiell und logistisch unterstützen. An der türkischen Grenze zu Syrien wurden PatriotRaketen stationiert, in deren Schutz Söldner und Waffenlieferungen die Grenze in Richtung Syrien überquerten, während der Daesh seine Finanzierung durch Öllieferungen in die Türkei sicherstellen konnte. US-Vizepräsident Biden hat in seiner Rede vor Harvard-Studenten am 01.10.2015 bestätigt, dass „Türken, Saudis, die Emirate … Hunderte Millionen Dollar und Tausende Tonnen Waffen in jeden investiert (haben), der gegen Assad kämpfen wollte“. Von diesen Frontstaaten erhielt Saudi-Arabien zwischen 2001 und 2014 Rüstungsgüter im Wert von fast 2,6 Milliarden Euro aus Deutschland, allein 2013 und 2014 beliefen sich die Rüstungsexporte nach Katar auf fast 700 Millionen Euro. Diese Ausrüstung der Paten des Terrors hat dazu geführt, dass \’deutsche\‘ Waffen bereits mitmorden, ob in Damaskus oder Paris. Vor diesem Hintergrund muss konstatiert werden, dass die deutsche Bundesregierung in der bestehenden syrischen Regierung offenbar einen größeren Feind sieht als im Daesh. Und dies begründet den besonders aggressiven Charakter der zur Anzeige gebrachten Tat: Die Anwendung militärischer Gewalt auf syrischem Territorium – obschon an sich strafbar – ist kein bloßer Nebeneffekt des Kampfes gegen den Daesh („IS“), sondern stellt sich umgekehrt als vorläufiger Höhepunkteiner langen Kette völkerrechtswidriger Maßnahmen zur Destabilisierung des syrischen Staates dar, zu denen nicht zuletzt die wenigstens indirekte Kollaboration mit dem Daesh gehört. Denn bereits die bisher von der Bundesregierung in Bezug auf Syrien ergriffenen Maßnahmen stellten in ihrer Gesamtheit eine nach der Definition der Resolution der VNGeneralversammlung vom 14 Dezember 1974 – A/RES/3314(XXIX)- als „wesentliche Mitwirkung“ an einer Aggression zu definierende Handlungsweise dar und erfüllten bisher schon den Tatbestand des völkerrechtlichen Delikts der Aggression. Aus dieser Interessenlage ergibt sich noch eine weitere Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland, die eine besondere Schwere der zur Anzeige gebrachten Tat begründet: Bekanntlich steht den syrischen Streitkräften in ihrem Antiterrorkampf die russische Luftwaffe bei, die mit syrischer Erlaubnis auf syrischem Territorium Einsätze fliegt. Die deutschen Operationen fügen sich in eine westliche Koalition ein, die, wie dargelegt, gegen die syrische Souveränität und territoriale Integrität und letztlich auf den Sturz der syrischen Regierung gerichtet ist, während Russland im Einklang mit dem Völkerrecht die rechtmäßige syrische Regierung unterstützt. Weltpolitisch stehen sich in Syrien die NATO und Russland bewaffnet gegenüber. Jeder Zwischenfall erhöht die Gefahr eines großen Kriegs. Dies ist genau, was der § 80 StGB unter Strafe stellt.
Sehr geehrter Herr Generalbundesanwalt, uns ist bewusst, dass unsere Strafanzeige Sie persönlich vor das Dilemma stellt, sich entscheiden zu müssen, ob Sie ein Ermittlungsverfahren gegen die Mitglieder der Bundesregierung und damit ihren Dienstherrn einleiten, was höchstwahrscheinlich Ihre Entlassung aus dem Amt zur Folge haben würde, oder ob Sie sich der Strafvereitelung im Amt in einem besonders schweren Fall schuldig machen. Uns blieb nichts anderes übrig, als Sie vor diese Wahl zu stellen, da bei Ihnen die Zuständigkeit für Straftaten gemäß § 80 StGB liegt. Wir vertrauen darauf, dass Ihre Integrität als Jurist und Ihr berufliches und staatsbürgerliches Pflicht- und Ehrgefühl Sie zur einzig richtigen Entscheidung bewegen werden.
Hochachtungsvoll